Die Geschichte von Socke

Die Geschichte von Socke

Von Dr. Tatjana Rusch

Im Februar 2014 nahm ich hoch motiviert an einer „Weiterbildung zum Gespannprüfer” des DBSV e.V. teil. Diese erweiterte meinen Horizont hinsichtlich des Bereiches O&M gravierend und ich traf außerdem nette Menschen. Darüber hinaus fühlte ich mich durchaus fehl am Platz, erlebte ich doch die Grundschule in einem Fachbereich, in dem ich längst das Abitur hatte. Das war aber auch eine Erfahrung.

Im Rahmen dieser Weiterbildung lernte ich ein Gespann kennen, welches aus einem netten und im Umgang mit seinem Hund als „guter” Hundehalter zu bezeichnenden Führhundhalter[*] und einem Deutschen Schäferhund höheren Alters bestand, dessen Anblick wenigstens jedem Kleintierpraktiker die Tränen in die Augen trieb. Auf meine Frage hin, warum denn dieser zwar sehr kompetente, aber alte und kranke Hund noch im Dienst sei, bekam ich folgende Antwort des über die Sachlage sehr betroffenen Führhundhalters: Seit mehr als einem Jahr wäre „seine” Führhundschule auf der Suche nach einem für die Ausbildung geeigneten Schäferhund für ihn, doch man würde keinen Hund finden. Einen anderen Hund als einen Schäferhund konnte sich der Führhundhalter, nach dessen viertem Führhund man auf der Suche war, nicht vorstellen. Das konnte ich nachvollziehen, denn ein Hundetypus wie Pudel oder Labrador passte meines Erachtens überhaupt nicht zu diesem Mann. Vielleicht grundsätzlich noch ein Australian Shepherd, doch hätte der groß gewachsene Zweibeiner in Kürze durch konstante Schieflage ein Problem mit seiner Statik bekommen.

Abends in gemütlicher Teilnehmerrunde kam das Thema „Schäferhund und krank” nochmal zur Sprache. Ich gab zum tierärztlichen Besten, dass man heute doch keinen Deutschen Schäferhund mehr finden könnte, der nicht entweder „Schrott” wäre oder vom Verhalten her bedenklich, leider meistens sogar beides. Da machte sich eine Kollegin, die ein Faible für Schäferhunde hat, auch selber einen hält, gerade und brach eine Lanze für die Rasse. Ihre Aussage war, auch heute würde man noch immer „gute” Schäferhunde finden, man muss nur wirklich gut suchen und recherchieren, dann gibt es auch die Nadel im Heuhaufen.

Heute für diese Worte sehr dankbar, stellten sie im Nachgang des Seminares für mich einen fachlichen Anreiz und eine Herausforderung dar: Könnte sie wirklich Recht haben? Ich fing an zu recherchieren, mich in die Schäferhund-Szene zu vertiefen, fand mich dabei diverse Male bestätigt, dass es da nichts Gutes geben kann. Dann traf ich per Zufall auf einen alt eingesessenen, ostdeutschen Züchter, der einen knapp 7 Monate alten Hund abzugeben hatte. In der Kontaktaufnahme fragte ich danach, ob er schon mal Hunde in den Spezialbereich Blindenführhund abgegeben und entsprechende Erfahrungen habe. Er reagierte darauf unerwartet bescheiden, wollte sich nicht anmaßen zu äußern, einer seiner Hunde könnte für diese Königsdisziplin geeignet sein.

Diese für einen Schäferhundzüchter ungewöhnliche Bescheidenheit und das Foto des Hundes machten mich neugierig und ich begab mich auf die Reise zum persönlichen Kennenlernen. In dem durchweg positiven Zusammentreffen stellte ich natürlich die Frage, warum denn dieser Hund abgegeben werden solle. Er hatte ihn für die Zucht behalten wollen, doch würde er dieses Tier niemals in einer Zuchtbeurteilung gut bewertet bekommen, denn: Der Rücken ist zu gerade! Ich, die ich hier seit langer Zeit einen Schäferhund ohne abfallende Rückenlinie vor mir sah, leichtfüßig und unter tierärztlichen Aspekten mit gesundem Bewegungsablauf, schlug quasi lang hin. Noch dazu war der Hund vom Wesen her für die Rasse sehr angenehm und für mich stand fest, wenn einer als Führhund in Frage kommen kann, dann dieser. Also kaufte ich Socke, den „grauen Wolf”, mit dem Hintergedanken, mal zu schauen, wie der Hund sich denn entwickelt und ob er möglicherweise wirklich das Zeug zum Führhund hat. Als sich mehr und mehr heraus stellte, dass dieser Hund, der u.a. ein hohes Adaptationsvermögen mit sich brachte, immer wieder von sich aus motiviert war, sich mit Anforderungen auseinander zu setzen und sich selbständig Lösungsstrategien erarbeiten konnte (Beispiel: „So eine komische Treppe habe ich ja noch nie gesehen. Ich bleib mal am Ball und tüftle so lange, bis ich die bewerkstelligt bekomme”), sich gut entwickelte, sprach ich den Führhundhalter vom Seminar damals an und erzählte ihm von Socke. Er war ganz angetan und wir vereinbarten, dass er eine Führhundschule ausfindig macht, die den Hund ausbilden würde. Die eigentlich angedachte hatte sich inzwischen entschieden, keinen Schäferhund ausbilden zu wollen.

Socke wurde einjährig gesundheitlich „TÜV”-geprüft und tatsächlich war der für seine Rasse grazile, gerade 30 kg wiegende Hund körperlich in Ordnung. Also sollte Socke in die vorgesehene Führhundschule ziehen. Ich führte ein ausführliches Gespräch mit dem Trainer, gab ihm die „Gebrauchsanleitung” für den Hund mit auf den Weg und stolperte leider nicht über die Worte „eigentlich bilden wir ja keine Deutschen Schäferhunde mehr aus” und beim Besprechen der „Gebrauchsanleitung” nicht über die Frage „Ach, sie machen das auch so, dass sie den Hund belohnen?”. Im Nachhinein hätten alle, aber auch alle! fachlichen Alarmglocken bei mir klingeln müssen, die aber kläglich versagt haben. Nach einer Woche kam der Anruf, der Hund wäre ja ganz und gar ungeeignet, er würde nicht leinenführig sein, immer weg laufen und ausgeprägt hüten (ich glaube, es war noch mehr an aufgezählten Untauglichkeiten, die ich mir dann nicht mehr gemerkt habe). Ich war mir sehr sicher, dass der Mann die falsche Telefonnummer gewählt hatte und wir nicht vom selben Hund sprachen. Irrtum, er sprach von Socke. Am liebsten gestern wollte ich den Hund zurück haben, denn die ganze Geschichte war mir mehr als suspekt.

Nun sind Hunde ja die größten Petzen unter der Sonne und sie verraten einem Fachmann mit ihrem Verhalten alles und sofort, was ihnen denn so widerfahren ist. Also stand ich hinter dem Fenster meines Hauses und guckte hindurch um zu sehen, was mir Socke denn zu sagen hatte, als er wieder abgeliefert wurde. Herr Führhundtrainer[*] öffnete die Hundeanhängertür – und Socke rannte um sein Leben. Der Hund mit der großen Adaptationsfähigkeit stoppte seine Flucht, nährte sich wieder an, hielt aber eine Individualdistanz von ca. 6 m zu Herrn Führhundtrainer aufrecht. Dann setzte er seine Flucht fort, keinesfalls kopflos, sondern bedacht, nämlich auf dem Radius der gehaltenen Individualdistanz (er umkreiste den Mann also, der sich bedrohlich in Richtung Hund beugte). Sockes Bericht reichte mir, um zu wissen, was passiert war. Ziemlich geschockt ging ich raus, sprach den Hund nur einmal aus Entfernung an, er kam sofort und geradewegs zu mir und zeigte sich unendlich erleichtert. Dass es sich bei dem vermeintlichen Hüteverhalten um agonistisches Verhalten handelte, nämlich ein Aufrechterhalten der Distanz zur Bedrohung, ebenfalls das Ziehen an der Leine in die Kategorie „Flucht” eingeordnet werden kann (gut, ist auch sehr gut möglich, dass ein einjähriger Hund dann auch mal an der Leine zieht, wenn das Rudel von 4 Labradoren um ihn herum in Freifolge tobt, er als einziger nicht mitspielen darf und das nichts mit Fluchtverhalten zu tun hat….!) und für das „Weglaufen” gleiches gilt, muss wohl nicht erläutert werden. Übrigens waren die Behälter mit den Belohnungsleckerchen, die ich Socke mit gegeben hatte, bei seiner Rückkehr ungeöffnet …

Mich plagte ein unendlich schlechtes (fachliches) Gewissen: Wie hatte es mir passieren können, einen Hund dorthin abzugeben? Herrn Führhundtrainer war ich gar nicht böse, ich war für mich ja selber diejenige, die einen großen Fehler gemacht hatte. Leicht erholt von dem Schock und mit der Erkenntnis, dass der Hund offenbar keine nachhaltigen Schäden von seiner Woche „Urlaub” davon getragen hatte, begann ich zusammen mit dem zukünftigen Führhundhalter die Suche nach einer fachkundigen Führhundschule, die den Hund in Ausbildung nehmen würde. Wir fragten fünf Führhundschulen an (das ist statistisch gesehen die Anzahl Schulen, die in Deutschland sach- und fachkundig sowie seriös arbeiten). Die durchweg einheitliche Antwort war „Wir bilden keine Deutschen Schäferhunde aus!”. Ziemlich konsterniert musste ich also feststellen, dass gar nicht das Finden eines „guten” Schäferhundes die Herausforderung gewesen sein sollte, sondern das Finden einer Führhundschule, die ihn sachkundig ausbildet! Ich war verzweifelt, der Blinde sowieso, nur Socke war glücklich, nicht mehr im „Arbeitslager” zu sein. Und nun? Nochmal Rücksprache mit zwei der schon angesprochenen Führhundschulen. Eine sehr freundliche Führhundschulen-Inhaberin, die bemüht war, mit nach einer Lösung zu suchen, sprach dann aus, was der Blinde offenbar schon einige Tage in seinem Kopf bewegte „Warum bilden sie denn den Hund nicht selber aus? Sie sind doch fachkundig?”. Anders als offensichtlich bei der Vielzahl der Führhundtrainer der Fall, die sich unter dem Motto „ich habe keine Ahnung, was ich da tue, also fange ich mal an!” in die Ausbildung von Führhund stürzen, hatte ich schlaflose Nächte. Will ich die Zeit dafür investieren (es würde dabei um meine Freizeit gehen), möchte ich die Verantwortung übernehmen, kann ich meinem eigenen, fachlichen Anspruch an das Ausbildungsziel Stand halten? Fragen über Fragen. Irgendwann stand ich auf und hatte die Entscheidung getroffen: Ich gehe das Projekt an und betrachte es als eine tolle Möglichkeit, meinen fachlichen Horizont erweitern zu können. Quasi ein fast einjähriges Seminar, welches es nirgends angeboten gibt. Zuerst besuchte ich mit Socke seinen zukünftigen Führhundhalter, der inzwischen mit dem Langstock unterwegs ist, denn der alte Hund ist außer Dienst genommen. Wenn die Chemie zwischen den beiden nicht stimmig gewesen wäre, dann würde ich nicht angefangen haben, die ganze Arbeit zu investieren. Herr und Hund liebten sich auf den ersten Blick, also legte ich los. Socke ist ein dankbarer Schüler, lernt schnell und ist immer motiviert bei der Sache. Die Chancen, das Projekt erfolgreich abschließen zu können, waren vielversprechend. Sockes zukünftiger „Dienstherr” ist glücklich, dass er eine Perspektive hat. Alles war gut.

Bis zu dem Tag, als ich die Mitteilung erhielt, nun vom DBSV von dessen Gespannprüferliste gestrichen zu werden. Wie jetzt? Ich hätte mich verpflichtet, keine Führhundschule zu sein und das wäre ja nun nicht so. Man wolle mir zwar keine schlechten Absichten unterstellen (Bitte? Da konnte ich ja froh sein…), jedoch hagelte es schlagkräftige Argumente wie sinngemäß „Das geht nicht, weil das nicht geht”. Ich fiel aus allen Wolken, nahm mir sofort alle Unterlagen vor und konnte nirgends einen Hinweis oder eine Rechtsgrundlage finden, die das Gebaren des DBSV begründen konnten. Lediglich war für die Seminaranmeldung damals Voraussetzung, dass ich zu dem Zeitpunkt keiner Führhundschule verpflichtet wäre. Das war ich nicht, eine weitere Einschränkung war nirgends zu finden, auch nicht in den „Voraussetzungen zur Tätigkeit als Gespannprüfer”. Abgesehen davon hätte ich mir nie träumen lassen, jemals in die Verlegenheit zu kommen, einen Führhund auszubilden.

In einem einstündigen Telefonat mit dem DBSV fragte ich u.a. nach der Rechtsgrundlage: Das Vorgehen entspräche nicht der üblichen Praxis. Ich könnte mich entscheiden: Entweder würde ich das Führhundwesen unterstützen, indem ich Gespannprüfer wäre oder Leistungserbringer. In den Qualitätskriterien würde stehen, dass kein Leistungserbringer Gespannprüfer sein darf. Ich könnte aber auch einen Vorschlag zu Güte machen, der denn da lauten kann, ich werde für eine gewisse Zeit, nämlich für 2 Jahre, von der Liste gestrichen.

Ich suchte den gemeinten Passus in den Qualitätskriterien und ließ ihn von einem Juristen prüfen: Nein, dieser sagt nicht aus, dass ein Gespannprüfer keinen Führhund ausbilden darf. Da hatte man nur vor mehr als 20 Jahren einen Pudding an die Wand genagelt.

Nun stand ich also da mit der Wahl zwischen Pest oder Cholera: Wenn ich dem sich inzwischen wie ein elitärer Golfclub aufführenden DBSV weiter angenehm auffallen wollte, dann hätte ich einem blinden Mann, der auf sein Hilfsmittel angewiesen ist, erklären müssen, dass er mal schön bei seinem Langstock bleiben kann. Oder noch sinnbefreiter wäre ich der Empfehlung des DBSV gefolgt, den Hund einfach „in eine andere der fast 70 Führhundschulen im Lande abzugeben”. Auf meinen Einwand, dass die Versuche gescheitert waren, eine seriöse Führhundschule zu finden, kam die Antwort, dass es schon genug Führhundschulen geben würde. Allen Ernstes also empfahl mir der DBSV, der gerade im Oktober 2014 aus gegebenem Anlass einen kleinen Film produzierte mit dem Titel „Belohnen statt bestrafen” und in der sicheren Kenntnis ist, dass der überwiegende Teil der Führhundschule mit „Knüppel aus dem Sack”-Methoden Hunde ausbildet, wissentlich einen Hund in unsachkundige Hände zur Ausbildung zu geben. Ganz klar war für mich: Das kommt nicht in Frage! Es kommt auch nicht in Frage, einen blinden Mann um seinen Hund bzw. die Option auf diesen (noch konnte es ja sein, dass ich Fakten feststelle, die mir Anlass geben, den Hund auszusourcen!?!) zu bringen, denn eine andere Entscheidung wäre ethisch für mich persönlich mehr als verwerflich! Dann kann ich eben nicht Gespannprüfer sein, habe ich rund 8000,- EUR, die mich die selbsternannte Weiterbildung zum Gespannprüfer insgesamt gekostet hat, als Eintrittsgeld für den elitären Club eben in den Sand gesetzt. Blöd, aber ist dann eben so …

Dennoch: Abermals nicht zielführende Gespräche mit dem DBSV, um die Sache doch noch irgendwie lösungsorientiert zum Abschluss zu bringen. In diesem speziellen Fall ist der Leistungsträger des Hilfsmittels noch nicht mal eine Krankenkasse, sondern eine Berufsgenossenschaft. Ich fragte dann, wie es denn wäre, wenn ich den fertig ausgebildeten Hund verschenken würde. Das wäre laut DBSV ja dann etwas Anderes und das könnte ich machen. Da ich mir aber sehr sicher bin, dass ich in dem Moment, wo ich einen ausgebildeten Hund verschenke, ganz sicher ein „konkurrierender Leistungserbringer” für alle Führhundschulen im Land sein würde (welcher Leistungsträger würde denn was dagegen haben, einen Hund nicht bezahlen zu müssen, da wäre ich doch zukünftig als Bezugsquelle sehr gefragt!), verwarf ich den Gedanken.

Stattdessen vertiefte ich mich in die Materie. Dabei stellte ich vieles fest:

Da ist z.B. das Thema Gewährleistung. Diese muss nach ausführlicher Recherche der Rechtslage für die Führhundschule in dem Moment vom Tisch sein, wo klar ist, dass am Tag der Übergabe der gebrauchten Sache Hund keine Mängel vorliegen. Die tierärztlichen Untersuchungsergebnisse schließen dabei fast alle körperlichen, in anderen Konstellationen beim Tierkauf möglicherweise verdeckten Mängel aus. Die bestandene Gespannprüfung stellt fest, dass zum Zeitpunkt der Übergabe keine Mängel in der Ausbildung und der Eignung des Hundes vorliegen. Treten später Probleme auf, wären die insbesondere in einer Fehlbedienung der Sache durch den Nutzer zu suchen. Das Urteil einer Gespannprüfung hat also eine juristische Tragweite! Somit ist einzig und allein eine Gewährleistung von maximal einem Jahr für verdeckte Mängel gegeben (hat der Hund z.B. eine unerkannte dritte Niere, die ihm 7 Monate nach Übergabe Probleme macht, wäre das ein solcher Mangel). Da ist ein 6er im Lotto aber sicherlich realistischer.

Warum hat sich der DBSV z.B. nicht mit dieser Thematik beschäftigt und statt auf eine rechtlich nicht haltbare Gewährleistung von 2 Jahren bei Führhundschule zu pochen, lieber für eine Präqualifizierung gesorgt? Warum wurde nicht z.B. eine Expertenkommission beauftragt, einen Kriterienkatalog für ein Präqualifizierungsverfahren zu erarbeiten und das dem Leistungsträger präsentiert? Oder warum sorgte er nicht dafür, dass Gespannprüfer auch in Regress genommen werden können, wenn sie aufgrund mangelnder Sachkunde eine Fehlbeurteilung abgeliefert haben? Die Führhundschule ist nicht immer der allein Schuldige. Der aktuell durch die Medien gehende Fall des Labradores Peaches ist genau ein solcher Fall, wo der Gespannprüfer ohne „Wenn und Aber“ in die Haftung gehört: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lag das Problem bereits zum Zeitpunkt der Gespannprüfung vor, die daher nie das Urteil „bestanden” hätte bekommen dürfen (in der MDR-TV-Dokumentation zeigte ein anderer, sich in der ausbildenden Führhundschule befindliche Golden Retriever ebenfalls, dass er „nicht glücklich ist” in der Begegnung mit dem Trainer: Alte Petze!).

Dann stieß ich auf den für mich persönlichen Super-Gau der Erkenntnis: Um DBSV-Gespannprüfer zu bleiben, müssten die insgesamt drei, auf den Fachbereich Verhalten spezialisierten Kolleginnen nach DBSV-Auslegung ihre verhaltenstherapeutische Sprechstunde schließen. Käme nämlich ein Führhundhalter z.B. ein halbes Jahr nach Übergabe des Hundes zu uns in die Fachsprechstunde, weil der Hund beispielsweise ein unerwünschtes Jagdverhalten zeigt, der Führhundhalter sich damit aber lieber an uns wendet als an die Führhundschule aus der der Hund stammt, die Krankenkasse auch die Kosten für die Verhaltenstherapie übernimmt, dann sind wir „konkurrierende Leistungserbringer”! Aber genau unsere berufliche Qualifikation war damals die Voraussetzung, um an der besagten „Weiterbildung zum Gespannprüfer” überhaupt teilnehmen zu dürfen?! Das heißt, die Tatsache, dass wir durch unsere berufliche Tätigkeit automatisch Leistungserbringer sind, war bekannt und erwünscht!

Damit nicht genug, ich vertiefte mich weiter: Eigentlich jeder gelistete O&M-Trainer ist per DBSV-Definition ein konkurrierender Leistungserbringer und müsste demnach von der Liste gestrichen werden (Reaktion: „Nein, das ist ja etwas ganz Anderes!“ ???!!). Der eine O&M-Trainer z.B. bietet auf seiner Homepage „Schulungen mit dem Führhund” für Führhundhalter an, der andere gibt Seminare, in dem ein Themengebiet „Ausbildung von Blindenführhunden” heißt. Diesen Vortrag hätte demnach auch eine Führhundschule halten können und damit Geld verdienen und wer will denn bei der ganzen Haarspalterei unterscheiden, wie viel der „Schulung mit dem Führhund” O&M und wie viel Schulung des ganzen Gespannes ist und damit der Auftrag auch an eine Führhundschule hätte vergeben werden können? Wenn man dann auch noch berücksichtigt, dass der Inhaber einer Führhundschule am Markt auch REHA-Lehrer ist, dann gibt es einfach gar keine Diskussionsgrundlage mehr!

Warum sollte denn überhaupt ein guter O&M-Trainer, der ohne Einwände vom DBSV geführt wird, ein entsprechendes Seminar nicht anbieten dürfen? Was in aller Welt spricht dagegen? Nichts! Das ist doch absolut okay!

Und was spricht dagegen, einen qualifizierten, spezialisierten Tierarzt neu auf die Liste zu nehmen, der zwar nicht das DBSV-Weiterbildungsseminar absolviert hat, sondern ein Adäquat bei einem anderen Anbieter, sogar Gutachter ist für „vergurkte” Führhunde, die aber ihre Gespannprüfung aus unerfindlichen (Gefälligkeits?) Gründen bestanden haben? Weil die Eignung dieser Tierärzte statt auf einem eckigen Zettel auf einem runden dokumentiert ist?

Bei der Vertiefung in die Materie stieß ich also auf Tonnen haarsträubenden Blödsinns und diverse unterschiedliche Maßstäbe, die mit Plausibilität, Demokratie und geltendem Recht einfach gar nichts zu tun haben.

Die Antwort auf meine an mich selber gerichtete Frage, wie ich denn zukünftig mit einem elitären Verein wie dem DBSV umgehen kann, der mit mir ausschließlich das vermeintliche Problem diskutieren möchte und nicht die Lösung, der billigend in Kauf nehmen würde, dass ein Blinder nicht zu seinem passenden Hund kommt und zusieht, wie ein Hund wider besseren Wissens da ausgebildet werden soll, wo TIERSCHUTZRELEVANZ am Eingang steht und darüber hinaus bereit ist, einen von den ohnehin in Minderheit gelisteten, spezialisierten Tierärzten von der Liste zu streichen, damit wissentlich die fachgerechte Beurteilung von Gespannen weiter einschränkt, konnte ich mir gradlinig nur mit „so vorerst gar nicht” beantworten. Gespannprüfer sind vereinsunabhängige Sachverständige, die ausschließlich ihrem Fachwissen und Gewissen verpflichtet sind und keine Marionetten. Es kamen in mir sogar Zweifel auf, ob denn der DBSV wirklich an einer Verbesserung des Hilfsmittels Blindenführhund interessiert ist oder ob es sich um ein für mich nicht durchschaubares, politisches Geflecht handelt, was ganz andere Ziele verfolgt. War möglicher Weise der Arbeitskreis der Führhundhalter nur eine von der Club-Führung initiierte ABM-Maßnahme, um renitente Betroffene zu beschäftigen, damit sie nicht anderweitig anstrengend werden? Zweifel über Zweifel.

Keine Zweifel hatte ich daran, dass ich nicht vom Blindenführhundewesen wegsehen würde. Und diese Tatsache war die Zeugung des BGBFH e.V., welche zusammen mit der in Gespannprüfungen und in Gesprächen mit betroffenen Führhundhaltern kennengelernten Realität in meinem Bauch reifte, andere Interessierte daran Teil hatten und es schließlich zur Geburt eines neuen Vereins in einem freien Land kam.

Dr. Tatjana Rusch

[*] Andere Namen als der von Socke und mir tun in dieser Geschichte nichts zur Sache, denn sie wären beliebig austauschbar…. Und selbst Socke könnte Max Musterhund heißen und ich Doktor Doolittle und der BGBFH hätte einen anderen Initiator haben können, denn alles in allem geht es ausschließlich um die Sache.

 

home